Page 61 - 75 JAHRE DR. PFLEGER - FESTSCHRIFT

Flucht nach England
Schon vor 1933 wurde Ernst Chain, der jüdischen Glaubens war, am Kaiser-Wilhelm-Institut für Che- mie die Zielscheibe bösartiger Angriffe fanatischer Nationalsozialisten. Im Herbst 1932 wurde die Si- tuation „ungemütlich“, wie Chain mit britischem Understatement später schrieb, also schlicht un- erträglich und gefährlich. Am Tag, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, also am 30. Januar 1933, verließ der begabte junge Chemiker Deutschland, emigrierte nach England und wurde britischer Staatsbürger. Robert Pfleger begleitete seinen Freund zum Bahnhof Friedrichstraße.
Mit der Abreise Chains begann für Pfleger eine gro- ße Bewährungsprobe: Michael Chain war bereits 1920 gestorben, aber Ernst Chains betagte Mut- ter und seine Schwester waren auf Hilfe angewie- sen. Robert Pfleger unterstützte die beiden Frauen selbstlos, konnte aber nicht verhindern, dass sie in ein Konzentrationslager gebracht wurden. Ernst Chain sah die beiden nie wieder. In seiner großarti- gen Rede „zum Gedächtnis von Robert Pfleger“ am 8. Juni 1975 in Bamberg, sagte Ernst Chain, er sei seinem Freund „für seinen Mut ewig dankbar“.
Wiedersehen in Genf
Robert Pfleger und Ernst Chain sahen sich erst 1950 auf einem Kongress in Genf wieder. Ab 1951 trafen sie sich jährlich in Rom, wo Chain ein inter- nationales Forschungszentrum für chemische Mi- krobiologie aufgebaut hatte. Deutschen Boden betrat Chain erstmals wieder 1954, als ihm in der Frankfurter Paulskirche in Gegenwart von Bundes- präsident Theodor Heuss der Paul-Ehrlich-Preis verliehen wurde.
Nach dem Tod Robert Pflegers am 19. Oktober 1971 half Ernst Chain, das Vermächtnis seines Freundes in Form seines Testaments umzusetzen. So wurde 1974 die Doktor Robert Pfleger-Stiftung gegrün- det. Ernst Chain starb am 12. August 1979 im Alter von 73 Jahren in Irland, wo er sich ein Haus gebaut hatte.
Ernst Boris Chain
Exkurs |61 Sir Ernst Boris Chain (1906-1979)